Forschung
Jedes alte Buch, jede Handschrift hat eine beziehungsreiche Geschichte. Hinter Anmerkungen, Stempeln und Nummern verbergen sich Namen, zerstreute Sammlungen, Bücherraub oder Bücherschenkung. Durch diese oft schwer zu enträtselnde Spurenvielfalt werden historische Bibliotheksbestände zu vielschichtigen Kulturgütern. Dies gilt in besonderem Maße für den einzigartigen Sammlungskosmos der Staatsbibliothek. Bei der Bearbeitung antiquarischer Erwerbungen, aber auch in zahlreichen Projektzusammenhängen ist die Analyse der in den Objekten aufgefundenen Provenienzspuren eine wesentliche Aufgabe vieler Mitarbeiter:innen in der Staatsbibliothek. Die retrospektive Provenienzerschließung umfangreicher Bestände des 17. Jahrhunderts konnte so im Rahmen des nationalbibliographischen Projekts Verzeichnis der im deutschen Sprachraum erschienenen Drucke des 17. Jahrhunderts (VD17) geleistet werden. Für die Sammlung 16. Jahrhundert liegen ebenfalls retrospektiv erfasste Provenienzdaten vor, die im Projekt „Short Title Catalogue der Drucke des 16. Jahrhunderts der Staatsbibliothek zu Berlin (ST16)“ entstanden sind.
Ein spezieller Aspekt der Provenienzforschung hat seit 1998 besondere Bedeutung gewonnen: Die Verpflichtung, in der NS-Zeit geraubte Bücher und Bibliotheken an ihre rechtmäßigen Besitzer zurückzugeben, macht die Suche nach NS-verfolgungsbedingt entzogenem Kulturgut zu einer vordringlichen Aufgabe. Das deshalb 2007 als eigenständiger Arbeitsbereich etablierte Team in der Abteilung Handschriften und Historische Drucke koordiniert seitdem die Recherchen zu NS-Raubgut und anderen unrechtmäßigen Erwerbungen (z.B. Kulturgutentzug in der SBZ/DDR) im Bestand der Staatsbibliothek und ihrer Vorgängerinstitutionen und begleitet in Abstimmung mit dem Justiziariat der Stiftung entsprechende Restitutionsverfahren. Durch mehrere langfristige Projekte konnte inzwischen über die systematische Prüfung der Bestände der Staatsbibliothek hinaus wichtige Grundlagenforschung geleistet werden, um den weltweiten Verteilungsprozessen geraubter Kulturgüter während und nach der NS-Zeit auf die Spur zu kommen.
Das Team in der Abteilung Handschriften und Historische Drucke ist aber auch zuständig für die Provenienzforschung im ursprünglichen und breiteren Sinne einer Erforschung der Herkunft und Biografie von Objekten sowie ihrer Sammlungskontexte. In Fachgremien und Arbeitsgemeinschaften gestaltet das Team die Weiterentwicklung einer kooperativen, nachhaltigen und spartenübergreifenden Provenienzforschung/-erschließung maßgeblich mit und entwickelt unter dem Dach der Stiftung Preußischer Kulturbesitz neue Forschungsansätze und Projektideen.
Die Ergebnisse der Provenienzforschung bieten vielfältige Informationen für buch- und bibliotheksgeschichtliche wie für biographische, sozial- und kulturhistorische sowie geistesgeschichtliche Fragestellungen. Die Forschungsdaten der Staatsbibliothek stehen zur Nachnutzung frei zur Verfügung und werden in überregionalen Datensystemen nachgehalten. Seit 2004 werden von der Abteilung Historische Drucke Provenienzdaten nach dem „Weimarer Modell“ in standardisierter Form erfasst und über den lokalen Online-Katalog (StabiKat) recherchierbar gemacht. Seit 2012 werden für die Provenienzverzeichnung Normdaten (Personen-, Körperschafts- und Werksätze, letztere für Provenienzmerkmale und Sammlungen) in der Gemeinsamen Normdatei genutzt bzw. neu erstellt und im Verbundkatalog des Gemeinsamen Bibliotheksverbundes (GVK, inzwischen K10plus) mit den verbundweit recherchierbaren Exemplargeschichten verknüpft. Zu den Provenienzmerkmalen werden Bilddateien und zusätzliche Metadaten z.B. zu Maßen, Motiv und Datierung im ProvenienzWiki zugänglich gemacht, darüber hinaus finden sich dort ausführliche Beschreibungen zu Provenienzen und Sammlungen.
Nur anhand der handschriftlichen Ergänzungen und Zeichnungen von Johann Carl Schott (1672-1717), Sekretär Ezechiel Spanheims und später für die Bearbeitung der Sammlung Spanheim in der Königlichen Bibliothek zu Berlin zuständig, lässt sich die Provenienz dieses Bandes erkennen.